Vogelgrippe breitet sich aus
Die Tierseuchenlage bei der Hochpathogenen Aviäre Influenza - besser bekannt als „Vogelgrippe“ - spitzt sich derzeit in Deutschland merklich zu. Seit Beginn der Herbst- und Zugvogelzeit ist ein deutlicher Anstieg von Infektionen sowohl bei Wildvögeln als auch bei Geflügelbeständen zu verzeichnen.
Laut des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI) wurden allein in Deutschland bereits über 400.000 Hühner, Enten, Gänse und Puten gekeult und entsorgt, um eine weitere Ausbreitung des Virus einzudämmen. In mehreren Bundesländern, vor allem in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen, häuft sich zudem der Befall bei Wildvögeln - insbesondere bei ziehenden Arten wie den Kranichen. Die Risikoeinschätzung des Instituts wurde auf die Stufe „hoch“ angehoben. Verbreitet wird das Virus hauptsächlich über die Ausscheidungen der Wildvögel.
Situation vor Ort
Im Landkreis Rotenburg wurde vergangene Woche der erste Fall der Vogelgrippe nachgewiesen - bei einem „verendet aufgefundenen Kranich“ in Gnarrenburg, wie der Landkreis mitteilt. Zudem gebe es immer mehr Meldungen beim Veterinäramt des Landkreises Rotenburg über ungewöhnliche Verhaltensweisen bei Vögeln. Das sind beispielsweise fehlendes Fluchtverhalten, atypische Bewegungen oder eine ungewöhnliche Kopfhaltung.
Auch im Landkreis Osterholz gehen vermehrt Meldungen über tot aufgefundene oder krank wirkende Wildvögel ein. Bei einem Kranich wurde das hochpathogene Influenza A Virus des Subtyps H5N1 jetzt (Stand: 29. Oktober) nachgewiesen.
Aufgrund von weiteren Fällen in Niedersachsen hat der Landkreis Osterholz eine Allgemeinverfügung erlassen, die folgende Punkte beinhaltet: „Sämtliches im Landkreis Osterholz gehaltene Geflügel in Haltungen mit mehr als 50 Stück Geflügel ist ab Inkrafttreten ausschließlich in geschlossenen Ställen oder unter einer Vorrichtung, die aus einer gesicherten Abdeckung und mit einer Seitenabgrenzung bestehen muss, zu halten.“
Das Veterinäramt prüfe die weiteren Verdachtsfälle und eingehenden Meldungen über Totfunde von Wildvögeln und beobachte die Situation weiterhin.
Das Veterinäramt weist alle kleineren Geflügelhalter:innen, mit weniger als 50 Stück Geflügel, darauf hin, dass ihre Bestände stark gefährdet sind, sich anzustecken. Aus diesem Grund müssen auch diese Halter:innen strengste Sicherheitsmaßnahmen einhalten - separates Schuhwerk vor den Ställen ist eine Möglichkeit. Weitere Maßnahmen können Interessierte unter tierseucheninfo.niedersachsen.de/startseite/ einsehen.
Kraniche besonders oft infiziert
Dass besonders Kraniche in diesem Jahr so stark betroffen sind, sei ungewöhnlich, wie der NABU Niedersachsen erklärt. Bis vor einigen Jahren waren hauptsächlich Enten und Gänse, also Wasservögel, betroffen. Über die Jahre ist das Virus so mutiert, dass es zunehmend auch Hühner befiel.
Bei den Kranichen ist anzunehmen, dass sie sich an ihren Rastplätzen, auf dem Weg zur Überwinterung, bei Wasservögeln mit der Vogelgrippe angesteckt haben. „Wir wissen nicht, ob die Übertragung auf Kraniche erst in Deutschland stattfand oder - was wahrscheinlicher ist - bereits im Baltikum oder in Polen“, erklärt NABU-Kranichexperte Günter Nowald. An diesen Plätzen stehen sie oft dicht an dicht, sodass bereits infizierte Vögel das Virus leicht auf andere Kraniche übertragen können. Viele sterben noch an den Rastplätzen, andere verbreiten die Erreger beim Weiterflug.
Besonders für Kraniche, die einst selten waren, kann die Vogelgrippe ernsthafte Folgen haben, da sie die Schutzerfolge der vergangenen Jahre zunichte machen könnte. „Noch sind die Verluste nicht abzuschätzen und wir wissen auch nicht, wie viele der infizierten Kraniche heimische Brutvögel sind“, sagt NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger. Vor allem die Lebensräume dieser Tiere müssten wirksam verbessert werden, um die Bestände des Kranichs und anderer Wildvogelarten zu erhalten - trotz Vogelgrippe.
Forderung zur Unterstützung
Gegen die Vogelgrippe gibt es derzeit keine Therapie. Das bedeutet, dass erkrankten „Tieren in den meisten Fällen nicht mehr zu helfen“ ist, sagt Bärbel Rogoschik, Leiterin des NABU-Artenschutzzentrums Leiferde. Die einzige Möglichkeit sei laut Kranichexperte Nowald das „rasche Entfernen von Kadavern“, um die Ausbreitung zu minimieren. Für die Beseitigung fordert Nowald mehr professionelle Unterstützung beispielsweise von Feuerwehren oder dem Technischen Hilfswerk (THW). Derzeit werde diese Aufgabe fast ausschließlich von ehrenamtlichen Naturschützenden übernommen, doch bei der steigenden Anzahl stehen diese vor einer immer größer werdenden Herausforderung.
Wirtschaftliche Schäden
Mit der schnellen Ausbreitung der Vogelgrippe steigen auch die Sorgen bei Geflügelhaltern vor wirtschaftlichen Schäden. Um ihre Bestände vor der Krankheit abzuschirmen, fordern sie einen stärkeren Schutz. Ein bundesweites Aufstallungsverbot könnte helfen. Das würde bedeuten, dass Geflügel aus Freilandhaltung in geschlossenen Ställen gehalten werden muss. Und auch der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG) sieht ein Handeln der Politik als unumgänglich. „Wir brauchen jetzt eine Debatte über Impfstrategien, EU-weite Anpassungen im Tierseuchenrecht und Klarheit für den internationalen Handel“, sagt ZDG-Präsident Hans-Peter Goldnick dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Die bisherigen Tötungen haben bereits einen Millionenschaden verursacht.
Was Bürger:innen wissen müssen
Ob es wegen der präventiven Massentötung zu Versorgungsengpässen bei Eiern und Geflügelfleisch kommen wird, ist derzeit noch nicht abzusehen. Auch wenn manche Berichterstattung - das Leid und den Massentod der auf Verzehr reduzierten Tiere ausblendend - seinen Fokus auf die „Mangelware Weihnachtsgans verlegt, ist es für Bürger:innen zunächst wichtig zu wissen, dass eine Übertragung des Virus auf den Menschen bislang nur selten vorgekommen ist. Prinzipiell kann das Virus zwar auf den Menschen übertragen werden, doch laut des FLI bestehe derzeit kein besonders hohes Risiko. Dennoch sollte ein Kontakt zu toten oder potenziell kranken Vögeln vermieden werde, da der Mensch auch als Überträger dienen kann. „Ich möchte an alle appellieren, sich nicht in der Nähe toter Wildvögel aufzuhalten und danach Geflügelbestände zu besuchen. Auch so kann das Geflügelpest-Virus indirekt über verunreinigtes Schuhwerk oder Gerätschaften weitergetragen werden“, erklärt Instituts-Präsidentin Christa Kühn.
Auch Hunde können sich theoretisch infizieren, doch die Tiere zeigen meist keine oder nur milde Symptome. Dennoch sollten Hundehalter:innen darauf achten, Hunde bei Spaziergängen in der Natur anzuleinen, damit sie nicht an toten Tieren schnüffeln oder schlecken können - auch sie können das Virus übertragen. Katzenbesitzer:innen sollten noch etwas vorsichtiger sein. Wenn eine Katze sich mit dem Virus ansteckt, können sich milde bis starke Symptome entwickeln, wie Atemnot, Fieber, Magen-Darm-Probleme oder Abgeschlagenheit. Sie nehmen das Virus vor allem durch erlegte Vögel auf, die sie gegebenenfalls fressen. Besitzer:innen sollten deshalb die aktuellen Meldungen über die Vogelgrippe in der Umgebung genauestens verfolgen. Zudem sollten die Tiere nicht mit rohem Geflügelfleisch gefüttert werden - es sollte bei mindestens 70 Grad gekocht werden, um die Erreger zu töten.

