Die letzte Jüdin

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Bremervörde (lst). In den Rotenburger Schriften hat Elfriede Bachmann Informationen über jüdische Familien aus Bremervörde zusammengetragen.

Die in Bremervörde geborene Jüdin Frieda Heyn (hintere Reihe, stehend, Mitte) wählte als Opfer nationalsozialistischer Verfolgung  1938 den Freitod in Hamburg. Das Foto zeigt sie 1907 als 23-Jährige bei einem „Kränzchen“ in Bremervörde.

Die in Bremervörde geborene Jüdin Frieda Heyn (hintere Reihe, stehend, Mitte) wählte als Opfer nationalsozialistischer Verfolgung 1938 den Freitod in Hamburg. Das Foto zeigt sie 1907 als 23-Jährige bei einem „Kränzchen“ in Bremervörde.

Bild: Lena Stehr

Wer etwas über jüdisches Leben und die bewegenden Schicksale jüdischer Menschen in Bremervörde wissen möchte, wird unter anderem in den Rotenburger Schriften fündig, die im Kreisarchiv in Bremervörde eingesehen werden können. So findet sich im Heft 74/75, Jahrgang 1991 eine Publikation von Elfriede Bachmann „Zur Geschichte der Juden in der Stadt Bremervörde insbesondere im 20. Jahrhundert“.

Die Zahl der Juden war demnach in Bremervörde immer gering, nur wenige Familien lebten zwischen 1753 bis 1942 in der Ostestadt und gingen ihren Berufen als Schlachter, Händler und Kaufleute nach. 1933 - also zu Beginn der Nationalsozialistischen Schreckensherrschaft unter Adolf Hitler - wohnten Angehörige acht jüdischer Familien in Bremervörde, 1938 waren es nur noch Mitglieder von drei Familien und von September 1939 bis März 1942 hielt sich nur noch eine ältere Jüdin (Adele Leeser) hier auf. Das letzte jüdische Begräbnis fand 1934 auf dem Friedhof an der Höhne statt (Heute kümmert sich die Stadt Bremervörde um die Pflege des Friedhofs, der sich seit 1960 im Besitz des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen befindet).

 

Die Reichspogromnacht

 

Wie im Rest Deutschlands hingen auch in Bremervörde in den 1930er Jahren Plakate mit der Aufforderung „Kauft nicht bei Juden“ an den Litfaßsäulen und an den Gaststätten Schilder mit der Aufschrift „Juden unerwünscht“.

1938 befand sich nur noch eine jüdische Firma in der Stadt, nämlich der „Einzelhandel mit Schuhwaren“ von N. Blau, Inhaber Julius Adler. Den Viehkaufleuten war vermutlich bereits 1937 die Arbeit untersagt worden. Der Pogrom am 9./10. November 1938 bedeutet dann auch das Aus für das Schuhgeschäft, hier wurden Schaufensterscheiben zerschlagen und der gesamte Laden verwüstet.

Den Schrecken der Reichspogromnacht erlebten in Bremervörde 10 Juden mit. Der jüdische Viehhändler Julius Leeser wurde festgenommen und kam ins Konzentrationslager Sachsenhausen. Unter der Bedingung, seinen Besitz innerhalb kürzester Zeit zu verkaufen und sofort auszuwandern, wurde Leeser schließlich wieder entlassen und flüchtete mit Frau und Tochter ins Ausland. Seine Schwester Adele blieb in Bremervörde und wurde von Freunden und Bekannten verbotenerweise mit Essen und Briketts unterstützt. Eine Bremervörderin nähte auch für sie. Ab Mitte September 1941 musste Adele Leeser den Judenstern auf ihrem Lodenmantel tragen. Im März 1942 wurde sie mit einem Lastwagen abtransportiert und in ein überfülltes Altenheim in Bremen „gepfercht“, wo sie noch „einige qualvolle Monate“ verbrachte, bevor sie im Juli 1942 deportiert wurde. Sie starb mit 65 Jahren in Auschwitz oder Minsk.

 

Familie Heyn aus Bremervörde

 

Zu den insgesamt elf Bremervörder Juden, die durch die Nationalsozialisten ihr Leben verloren, gehörte auch Frieda Heyn (verheiratete Berlin). Ihre Familie, die ein Manufaktur- und Modewarengeschäft in der Alten Straße 80 betrieb, war seit 1753 in Bremervörde ansässig. Friedas Bruder Siegfried, der 1933 zum Bedauern seiner Kegelbrüder freiwillig aus dem Kegelklub austrat und der auch einem Bremervörder Skatklub angehörte, hatte das Geschäft 1920 von seinem Vater übernommen und hatte etwa 1924 gegen Bauvorschriften verstoßen, indem er das Geschäftshaus umbaute und um ein Stockwerk erhöhte. Hier befand sich der Betraum der Synagogengemeinschaft Bremervörde-Zeven, der als „Der Tempel“ bezeichnet wurde. Das Anwesen inklusive des Hauses wurde 1936 zwangsversteigert, was mit dem Inventar und den Kultgegenständen aus dem Betraum geschah, ist nicht bekannt.

Siegfried Heyn zog mit seiner Frau 1937 nach Hamburg und 1938 nach Bremen, wo das Paar in den frühen Morgenstunden des 10. November aus dem Schlaf gerissen und verhaftet wurde. Auch Siegfried Heyn durfte das Konzentrationslager Sachsenhausen, in das er deportiert worden war, wieder verlassen, da er die Möglichkeit zur Auswanderung nachweisen konnte. Im April 1940 flüchteten er und seine Frau mit Hilfe ihrer Kinder über Genua in die USA. 1945 starb Heyn im Alter von 63 Jahren in New York, seine Frau starb drei Jahre später.

Frieda Heyn, die als junge Frau gemeinsam mit anderen Bremervörderinnen einem „Kränzchen“ angehörte und mit ihrem Mann nach Hamburg gezogen, nahm sich als Opfer nationalistischer Verfolgung am 12. August 1938 selbst das Leben.