Bausstelle Bauen
Auch wenn Bundesbauministerin Klara Geywitz glaubt, auf dem Land sei die Welt und der Wohnungsmarkt noch in Ordnung - sie hat Menschen, die in der Stadt keine Wohnung finden, angeraten, aufs Land zu ziehen: die Realität sieht anders aus.
Der Landkreis Osterholz sieht sich mit einem akuten Mangel an Wohnraum konfrontiert. Laut der Studie des Pestel-Instituts fehlen derzeit 740 Wohnungen, und um dieses Defizit auszugleichen sowie alternde und sanierungsbedürftige Nachkriegsbauten zu ersetzen, müssten bis 2028 jährlich 570 neue Wohnungen entstehen.
Bautätigkeit gerät ins Stocken
„Es muss gebaut werden“, betont Matthias Günther vom Pestel-Institut und verweist auf die Notwendigkeit, die Lücke zu schließen.
Allerdings zeigt die Analyse auch, dass die Bautätigkeit in Osterholz ins Stocken geraten ist. Im Zeitraum der ersten fünf Monate 2024 wurden lediglich 98 Baugenehmigungen erteilt, das sind 13 Prozent weniger als im Vorjahr. „Die Bereitschaft, neuen Wohnraum zu schaffen, nimmt ab“, so Günther weiter.
Rückläufige Baugenehmigungen bestätigt auch Landkreissprecher Sven Sonström, wendet aber ein, dass dies nicht an einer veränderten Genehmigungspraxis oder Bearbeitungslänge liege, „sondern entspricht den allgemeinen Entwicklungen auf dem Baumarkt - Zinsen, Inflation und Baustoffpreise führen aktuell nicht zu einem großen Bauwillen bei Privatpersonen und Investoren.“
Auch der hohe Leerstand von 1.840 Wohnungen, etwa 3,3 Prozent des gesamten Bestandes, biete laut Pestel-Studie keine kurzfristige Lösung. Etwa 46 Prozent dieser leer stehenden Wohnungen, also 840 Einheiten, stünden bereits seit über einem Jahr leer und seien oftmals in einem Zustand, der eine teure und aufwendige Sanierung erfordern würde. „Diese Wohnungen lassen sich nicht ohne Weiteres wieder bewohnbar machen“, erläutert Günther, dessen Studie sich hierbei auf den Zensus bezieht.
Demografischer Wandel verschärft das Problem
Auch im Landkreis Rotenburg Wümme sei die Lage nicht minder angespannt. Hier fehlen nach Angaben des Pestel-Instituts aktuell 1.290 Wohnungen, während gleichzeitig 2.930 Wohnungen leer stehen. Ähnlich wie in Osterholz seien jedoch viele dieser Wohnungen unbewohnbar und bedürften einer umfassenden Sanierung. „Über 1.600 dieser Wohnungen stehen bereits seit mehr als einem Jahr leer“, erklärt Matthias Günther. Die meisten dieser leer stehenden Einheiten befinden sich ebenfalls in Nachkriegsbauten, die nur durch Neubauten ersetzt werden könnten.
Für die kommenden Jahre prognostizieren die Experten einen steigenden Wohnungsbedarf von jährlich 950 neuen Wohnungen bis 2028, um den Mangel zu bekämpfen und die wachsende Zahl von Ein- und Zweipersonenhaushalten zu decken. Doch auch hier stockt der Wohnungsbau. Die Anzahl der Baugenehmigungen ist in den ersten fünf Monaten 2024 im Vergleich zum Vorjahr um 25 Prozent gesunken.
Ein weiterer besorgniserregender Faktor für den Landkreis ist der demografische Wandel. Die Einwohnerzahl im Kreis könnte bis 2040 um 9 Prozent sinken, während der Anteil der über 60-Jährigen um 15,2 Prozent steigt. Diese Entwicklung erfordert zusätzlichen Wohnraum, vor allem für kleinere Haushalte.
Wirtschaftsausschuss beschließt Förderung
Die Kreisverwaltung hat auf die wachsenden Probleme reagiert und die Schaffung kleiner Sozialwohnungen gefördert. Aufgrund der neuen „Richtlinie zur Durchführung der sozialen Wohnraumförderung“ vom Land, die am 1. Mai in Kraft trat, seien kreisweit 71 geförderte Wohneinheiten beantragt worden. Weitere 30 Wohneinheiten seien in Planung.
Dazu hat der Landkreis die Richtlinie angepasst. Da die Landesförderung ausschließlich für den Neubau ab wenigstens zwei Wohneinheiten greift, will der Landkreis auch den Umbau von Wohneigentum und die Schaffung einzelner Wohnungen fördern. Dazu hat sie u.a. den Zuschuss pro Einzelmaßnahme auf 30.000 Euro verdoppelt und bürokratische Vorgaben vereinfacht.
Der Novellierung stimmten die Mitglieder des Wirtschaftsausschusses bei zwei Enthaltungen gegen die Stimme von Stefan Klingbeil (Linke) zu. Klingbeil kritisiert, dass mit der Änderung auch Eigentümer belohnt würden, die „jahrelange Vernachlässigung von Eigentum“ betrieben hätten. Es gebe zwar Bauherren, die damit gutes bewirkten. Aber dennoch würden mit der angepassten Richtlinie „jene, die mehr als der Durchschnitt haben, noch mehr bekommen. Das ist eine Verteilung von Wohlstand von unten nach oben, mit Hilfe von Steuergeldern. Nach zehn Jahren werden es normale Wohnungen, die teuer vermietet werden. Das ist für mich zu kurzfristige Wohnpolitik.“
Langfristige Politik hätte laut Klingbeil u. a. beim Finanzamt anzusetzen. Denn es sei so, dass private Vermieter, z. B. ältere Menschen, die nach dem Auszug ihrer Kinder, Wohnraum vermieten, vom Finanzamt angemahnt würden und steuerliche Nachteile erhielten, wenn sie zu niedrige Mieten kassierten. „Miete in luftiger Höhe ist in Ordnung, Miete am Boden wird sanktioniert. Verkehrte Welt, wenn Sie mich fragen.“
Wahlversprechen verschlafen
Kritik übt auch Katharina Metzger, Präsidentin des Bundesverbandes Deutscher Baustoff-Fachhandel (BDB), und zwar am Bund: „Es passiert zu wenig. Und was jetzt passiert, kommt zu spät. Wer 400.000 Neubauwohnungen - darunter 100.000 neu gebaute Sozialwohnungen - im Wahlkampf verspricht und im Koalitionsvertrag festschreibt, der darf nicht erst ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl wach werden.“ Wer sich nicht erinnert: Der Kanzler erklärte die Wohnungsnot zur „sozialen Frage“ des 21. Jahrhunderts und versprach sie mit seiner Fortschrittsregierung zu beantworten. „Jetzt faire Mieten wählen“ - das war sein Slogan im Wahlkampf.
Die Koalition verständigte sich auf zwei Gesetzespakete: Wohnungen bauen und Mieterhöhungen erschweren. Die Realität: Gebaut wurden 2022 nur rund 23.000 Sozialwohnungen, 2023 nur rund 27.000. Das ergibt eine Zielverfehlung von mehr als 70 Prozent. Insgesamt fehlen 910.000 Sozialwohnungen. Und von den 400.000 Wohnungen pro Jahr wurden bisher nicht einmal 300.000 insgesamt gebaut.
Hinsichtlich der Mietpreise sieht es noch dramatischer aus: Von den geplanten Gesetzen ist bisher nichts verabschiedet worden und was nun zur Abstimmung vorliegt, wird Mietern nicht groß helfen, denn die Kappungsgrenze für Mieten ist raus. Auch wenn die SPD nachverhandeln will: Was sie bisher für Studenten, Azubis, Klein- und Mittelverdiener erreichte - Bafög-Erhöhung, Mindestlohn, Wohngeld -, wird von steigenden Mieten - vom Scheitern der SPD in der Beantwortung der „sozialen Frage“ aufgezerrt.
Es reicht hinten und vorne nicht
Daran ändert auch geplante Bundeshaushalt für 2025 nichts. Darin fehlten laut Pestel Fördermittel für den Wohnungsneubau - allen voran für den sozialen Wohnungsbau. Der benötige mindestens 12 Milliarden Euro pro Jahr von Bund und Ländern. Der Bund stelle für 2025 jedoch lediglich 3,5 Milliarden Euro bereit. Und auch die Perspektive bis 2028 gibt wenig Anlass zur Hoffnung, auch wenn der Kanzler das gerne so verkauft hätte als er verkündete, dass die Bundesregierung Sozialwohnungen mit „über 20 Milliarden Euro“ (genau sind es 21,5 Milliarden) fördern würde. Das reicht nicht „nur hinten und vorne nicht“, so Metzger. Die Summe stellt zudem eine Kürzung dar. Denn für den Zeitraum von 2024 bis 2027 wurden bereits 18,15 Milliarden festgeschrieben. Das sind etwas mehr als 4,5 Milliarden pro Jahr. Für 2028 werden es dann aber nur 3,35 Milliarden sein.
IG BAU und Mieterbund stimmen der Diagnose zu
Laut Günther führe diese Wohnungspolitik dazu, dass die sozialen Spannungen anstiegen. Das sehen auch die IG BAU und der Mieterbund so. Ihres Erachtens brauche es 20 Milliarden vom Staat pro Jahr, soll die Wohnkrise gelöst werden. Gegenfinanziert werden könnten die Mittel den Organisationen zufolge durch ein härteres Vorgehen gegen Steuerhinterziehung. Laut Angaben des Bundesrechnungshofs gehen dem Bund dadurch jährlich 30 bis 50 Milliarden Euro verloren. Da müsste dann aber der Finanzminister mitspielen, dessen Parteikollege Buschmann bereits die Reform des Mietrechts torpedierte.