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Lena Stehr

"Wir sind alle Hexenkeller"

Gnarrenburg/Worpswede. Für ein paar Tage sind in der Gemeinde Gnarrenburg und in Worpswede alle „Hexen Keller“ - mit dieser symbolischen Umbenennung will die Worpsweder Flüchtlingsinitiative gemeinsam mit zahlreichen Unterstützern ein Zeichen gegen Rassismus setzen.
Auch Mimis Erbe, der Raum für Kunst, in Worpswede beteiligt sich an der Aktion „Wir sind alle Hexenkeller“ und zeigt seine Solidarität ganz groß im öffentlichen Schaukasten.  Foto: Mimis Erbe

Auch Mimis Erbe, der Raum für Kunst, in Worpswede beteiligt sich an der Aktion „Wir sind alle Hexenkeller“ und zeigt seine Solidarität ganz groß im öffentlichen Schaukasten. Foto: Mimis Erbe

Für ein paar Tage sind in der Gemeinde Gnarrenburg und in Worpswede alle „Hexen Keller“ - mit dieser symbolischen Umbenennung will die Worpsweder Flüchtlingsinitiative gemeinsam mit zahlreichen Unterstützern ein Zeichen gegen Rassismus setzen. Und sich solidarisch mit der syrischen Familie zeigen, deren Restaurant „Hexenkeller“ in Gnarrenburg Mitte Juli einem Brandanschlag zum Opfer fiel (der ANZEIGER berichtete).
In vielen Geschäften und Betrieben sowie auch in Privathäusern und Autos sind derzeit Plakate und Flyer zu sehen, die vor allem eines ausdrücken sollen: Die große Mehrheit tickt anders als die - mutmaßlich rassistisch motivierten - Brandstifter, die einer vor dem Krieg geflüchteten Familie die Existenzgrundlage in der neuen Heimat zerstört haben.
 
„Das Geschehene nicht unkommentiert lassen“
 
Jascha Mangels, Integrationsbeauftragter der Gemeinde Worpswede und einer der federführenden Verantwortlichen der Solidaritätsaktion, sagt: „Wir dürfen das Geschehene nicht unkommentiert und die Familie in dieser für sie äußerst traumatischen Situation nicht alleine lassen.“ Die vier syrischen Brüder, die Ende 2019 das alteingesessene Restaurant „Hexenkeller“ übernahmen, hätten sich endlich angekommen gefühlt. Seit dem Brandanschlag brechen nun bei den Betroffenen Traumatisierungen auf, die die Familie über einen Zeitraum von fünf Jahren in Worpswede durch ein zielstrebiges und optimistisches „Nach-Vorne-Schauen“ hatte umschiffen können, so der Integrationsbeauftragte, der engen Kontakt zur Familie hat. Verloren hatten sie schon einmal alles. Und dieses niederschmetternde Verlustgefühl komme gerade mit Macht zurück in ihr Leben.
Es müsse allen klar sein, dass mit dem Anschlag „Menschen aus unserer Mitte“ getroffen worden seien und dass der Vorfall uns alle betreffe, sagt Jascha Mangels. Insbesondere Gastronomie und Hotellerie seien ohne Menschen mit dem sogenannten Migrationshintergrund kaum mehr vorstellbar. Sie seien in gut 80 Prozent der gastronomischen Betriebe in Worpswede tätig.
 
Vertrauen in die Demokratie erschüttert
 
Dass viele von ihnen nun selber Angst haben, Opfer von Gewalt zu werden, kann die ehrenamtliche Gnarrenburger Integrationslotsin Claudia Schalinski bestätigen. Sie unterstützt die Solidaritätsaktion tatkräftig und konnte in der Gemeinde Gnarrenburg viele Akteure zum Mitmachen bewegen. Sie erhalte zudem nicht nur viele Betroffenheitsbekundungen, sondern bekomme auch Ängste und Bedenken mitgeteilt.
Das Vertrauen darauf, sich in einer Demokratie sicher fühlen zu können, dürfe nicht erschüttert werden. Genau das sei allerdings mit dem Brandanschlag in Gnarrenburg geschehen. Umso wichtiger sei es, nicht wegzugucken, sondern sich jetzt aktiv gegen Rassismus jeglicher Art zu bekennen.
 
Viele Unterstützer
 
Das sieht auch Hanjo Postels, Vorsitzender des Wirtschaftsinteressenrings (WIR) Gnarrenburg, so. Man müsse nun alles tun, damit die syrische Familie einen Neustart hinkriegen könne. Den Anschlag bezeichnet er als „fies und feige“. Die Plakate mit der Aufschrift „Wir sind alle Hexen Keller“ hat er an alle rund 100 Mitglieder des WIR verteilt und freut sich, dass so viele die Aktion unterstützen.
So wie Ulf Ahrens, Inhaber des Gasthofs Ahrens in Kuhstedt. „Die Opfer waren Kollegen von uns, die gastronomische Vielfalt in unsere Gemeinde gebracht haben“, sagt der Gastwirt.
Ähnlich denkt auch Bulut Necmetten, Inhaber des Tigris Döner Saals in Gnarrenburg. „Das Gleiche könnte mir auch passieren“, sagt der Gastronom, der ebenfalls schon Anfeindungen erlebt hat. Kurz nach der Eröffnung seines Ladens vor rund 14 Jahren seien Steine auf sein Geschäft geworfen worden. In den Toiletten habe er auch schon „Nazi-Aufkleber“ entdeckt.
 
Vermehrt rassistisch motivierte Aktivitäten
 
Laut Jan Krieger aus dem Regionalbüro Nordost der „Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus und für Demokratie in Niedersachsen“ werden in der Region um Bremen seit mehreren Monaten vermehrt rassistisch motivierte Aktivitäten wahrgenommen. Demnach seien insbesondere die Landkreise Osterholz-Scharmbeck und Diepholz, aber auch Delmenhorst und Rotenburg betroffen. In Rotenburg sehe das Regionalbüro derzeit sogar ein „sich zuspitzendes diffuses Naziproblem“, das sich allerdings nicht an einzelnen Gruppierungen oder Personen festmachen lasse.
Szenetypische Aufkleber sowie rassistische Schmierereien und Hakenkreuze hätten sich in letzter Zeit gehäuft.
Diese sollen laut Jan Krieger gezielt einschüchtern, und als Drohung aufgefasst werden.
Dass besonders häufig Gaststätten als Ziel rechter Gewalt ausgewählt würden, liege vermutlich daran, dass hier immer ganze Existenzen auf dem Spiel stünden. Zudem gelten Gaststätten als besonders repräsentative Orte, an denen Menschen zusammenkommen, so Jan Krieger. Dass sich die Gnarrenburger und Worpsweder so klar gegen Rassismus und Gewalt positionieren, sei enorm wichtig.
 
Ermittlungen in alle Richtungen
 
Polizei und Staatsschutz ermitteln derweil weiter in alle Richtungen, wie Rotenburgs Polizeisprecher Heiner van der Werp auf Anfrage des ANZEIGER bestätigt. Einen rassistisch motivierten Hintergrund schließe die Polizei unter anderem aufgrund des - wenn auch falsch herum - aufgesprühten Hakenkreuzes auf der Rückseite des „Hexenkeller“ nicht aus. „Der Verdacht drängt sich natürlich auf, gleichwohl wird in jede Richtung ermittelt“, sagt van der Werp. Die Polizeiinspektion Verden/Osterholz gibt zur Auskunft, dass sie im Zeitraum vom 1. Januar 2015 bis zum 31. Dezember 2019 im Landkreis Osterholz 17 Straftaten mit ausländerfeindlichem Hintergrund bearbeitet hat. Sie kann aber keine Zunahme rassistischer Taten feststellen. In 2015 waren es sechs Taten, in 2018 und 2019 jeweils zwei.
Eine Crowdfundingaktion für die syrische Familie gibt es unter: www.betterplace.me/soli-aktion-nach-rassistischem-brandanschlag


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