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Patrick Viol

Kein Verzicht auf Erinnerung an die Novemberpogrome 1938

Worpswede/Schwanewede. Die Pandemie hat in diesem Jahr das öffentliche Gedenken zu den Novemberpogromen vor 82 Jahren massiv eingeschränkt. Aktive vor Ort haben sich Alternativen einfallen lassen.
„Nie wieder!“ - Die Lehre aus der deutschen Geschichte. Diese Bannerinstallation steht in Worpswede auf dem Rosa-Abraham Platz.   Foto: H. Jenns

„Nie wieder!“ - Die Lehre aus der deutschen Geschichte. Diese Bannerinstallation steht in Worpswede auf dem Rosa-Abraham Platz. Foto: H. Jenns

„Wir sollten eigentlich nicht so einen Special-Status haben“, sagt Emily, eine junge Jüdin, in dem ZDFheute-Bericht: „Jüdinnen in Deutschland: Ich bin nicht der Holocaust.“ Und doch muss sie mit ihren Mitschüler*innen auf die Polizei warten, um zum Sportunterricht eskortiert zu werden. Weil die Turnhalle nicht auf dem Gelände der jüdischen Schule liegt, sondern außerhalb.
Emily macht deutlich, dass sie es traurig findet, dass sie als Jüdin in Deutschland „nicht wie jeder andere Deutsche in Deutschland leben kann.“
 
Antisemitismus gehört zum Alltag
 
Wie jeder andere Deutsche leben - dass das Jüdinnen und Juden hierzulande, aber auch in Frankreich, Ungarn, Polen, England - um nur einige Länder zu nennen, in denen Antisemitismus von links bis nach rechts verbreitet ist - nicht möglich ist, zeigen nicht nur auf abscheuliche Weise die rechtsextremen und islamistischen Anschläge der jüngsten Vergangenheit. Sondern ebenso die Tatsache, dass es „ganz normal“ ist, dass Polizeiwachen vor jüdischen Institutionen und Synagogen patrouillieren. Also vor jenen Gebäuden, die in der Nacht der Novemberpogrome am 9. November vor 82 Jahren in Deutschland brannten.
Auch wenn für viele Deutsche die Geschichte des Nationalsozialismus immer weiter in die Ferne rückt: Antisemitismus gehört für Jüdinnen und Juden zum Alltag. Viele fühlen sich - wie es Antisemitismus-Studien immer wieder belegen - mittlerweile so unsicher, dass ca. die Hälfte von ihnen überlegt, nach Israel auszuwandern. Einige haben es bereits getan.
Für deutsche Juden z. B. in Berlin und Hamburg ist es inzwischen normal, zu überlegen, wo und ob sie eine Kippa tragen, wenn sie ihre Wohnung verlassen. Erst am 4. Oktober wurde ein jüdischer Student vor der Synagoge Hohe Weide in Hamburg mit einem Spaten krankenhausreif geschlagen.
 
Gedenken trotz Pandemie
 
In Anbetracht des Erstarken des Antisemitismus, dessen letzte Konsequenz die deutsche Geschichte offenbarte, war es für viele, die sich gegen Antisemitismus engagieren, nicht auszuhalten, das Gedenken an die Opfer der deutschen Geschichte und die Kritik der deutschen Zustände im Pandemiegeschehen still untergehen zu lassen. Auch für Aktive in Worpswede und Schwanewede.
In Worpswede wurde auf dem Rosa-Abraham Platz ein Gedenkort gestaltet. Auf aufgestellten Bannern ist zu lesen: „Nie wieder! Gegen Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit.“ Rosa Abraham ist eine der in Treblinka ermordeten Worpsweder Jüdinnen.
Harro Jenns ist einer der Initiatoren der Aktion, die coronabedingt ohne Publikum stattfand. Seinen Standpunkt möchte er dennoch deutlich machen: „Unsere Gegenwart hat die Vergangenheit noch lange nicht hinter sich gelassen“, sagt Jenns und stellt auch einen Bezug zu den Corona-Demonstrant*innen her: „Tatsächlich tauchen bei den Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen Verschwörungsmythen auf, die sich seit Jahrhunderten halten.“
Auch Katharina Hanstein-Moldenhauer und Dr. Bernd Moldenhauer von der Deutsch-Israelischen Gesellschaft erinnern daran, dass Solidarität mit von Antisemitismus Betroffenen in der Gegenwart wichtig ist, und machen auf den antisemitischen Hass in der Gegenwart aufmerksam: In den sozialen Medien finde tagtäglich die virtuelle Ermordung von Jüdinnen und Juden statt, und die Gefahr sei groß, dass ohne ein entschiedeneres Engagement der gesamten Gesellschaft immer mehr Türen aus der virtuellen in die reale Welt aufgehen. „Dem muss praktische Solidarität entgegengesetzt werden, die bei Gedenkveranstaltungen nicht endet, sondern beginnt.“
 
Die Lehre aus der Geschichte
 In Schwanewede legten Dörte Gedat und Ulrich Klein von den Schwaneweder Grünen einen Kranz auf dem Friedhof in der Schwaneweder Heide nieder, wo Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ruhen. „Nie wieder! Das muss die Lehre aus der Geschichte sein. Sie muss erarbeitet und gelernt werden. Demokratische Strukturen müssen gestärkt und verteidigt werden“, sagt die Vorsitzende Dörte Gedat, und Klein ergänzt: „Schwanewede, dessen Kernort aus der Lagerstruktur entstanden ist, muss dieses Erbe auch an kommende Generationen vermitteln.“


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