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Im Zwischenreich von Traum und Wirklichkeit

Worpswede (pvio). Bis zum 25. April lässt sich das Leben und Werk des Ausnahmekünstlers Pit Morell in Galerie Altes Rathaus betrachten.

Vom Vereisen wird allgemein derzeit abgeraten. Doch in der Galerie Altes Rathaus in Worpswede steht noch bis zum 25. April - nach vorheriger Anmeldung - das Tor nach Humi offen. In Humi fluorisieren die Himmel, hier besitzen Baumstämme und Häuserwände Gesichter und die Lebewesen sind dort von vielfältiger Art und Gestalt. Seltsam aufgeblähte, blockhafte Figuren zwischen Mensch und Tier leben hier neben Fabelwesen und Kobolden und die Natur wie die menschengemachte Umgebung besitz ein Antlitz, das einem mit kindlicher Farbenfrohheit oder lethargischer Eintönigkeit begegnet. Meist braun oder Schwarz. In Humi gibt es keine Schwerkraft, die Naturgesetze sind hier der Gesetze der Fantasie gewichen. Alles Belebte und Unbelebte scheint aus demselben Stoff gemacht, doch bleibt es nie es selbst, sondern wandelt in steter Veränderung durch die Zeit. Räumliche Gebilde präsentieren sich in absoluter Symmetrie oder als fallende, herabstürzende Masse. In Humi ist nichts so wie in der gewohnten Wirklichkeit, aber alles in Humi ähnelt ihr. In Humi ist alles und jeder im Zustand der Entrückung. Ein jedes Einzelwesen scheint hier nur der eigenen Form verpflichtet und ist doch mit allem verbunden. In Humi ist die Ordnung das Chaos, in dem das Zarteste aber nicht untergeht, sondern durch die Auflösung fester Ordnungsprinzipien zu seiner Entfaltung gerät. Humi, das ist ein Zwischenreich zwischen Traum und Wirklichkeit. Man findet es auf der Phantasmakarte irgendwo neben Utopia und Verzweiflung. Dorthin kommt man nur mit Fantasie und Augen, die nicht nur sehen, was ist, sondern was sein könnte. Geschaffen wurde diese Welt von dem seit 1964 in Worpswede lebenden Künstler Pit Morell und seinen Zeichenstiften.
 
Das Ausnahmephänomen
 
Der 1939 in Kassel geborene Zeichner, Dichter und Grafiker Jean Pierre Morell zählt zu den herausragenden künstlerischen Kapazitäten Worpswedes, wo er seit 1964 ohne Unterbrechungen lebt und arbeitet. Sein fantasievolles zeichnerisches und literarisches Werk steht nicht exemplarisch für die damalige junge Generation von Künstler:innen in Worpswede. Es war und ist in jeder Hinsicht ein Ausnahmephänomen, das auf großer erzählerischer Begabung beruht, sich in gewisser Weise dem Surrealismus zuordnen lässt, aber weitgehend eigenständig und beispiellos blieb. An vorhandene Bildmuster oder poetische Regeln hält sich Morell nicht, was sein Werk so spannend macht. Kunst als Gestaltung des Möglichen ist bei Morell stetes Prinzip. Seine Fantasie ist nie in einer sich wiederholenden und verkaufsfördernden Stilistik erstarrt, sondern durchbricht - wie die Formen in Humi - immer wieder eigene, geronnene Entwicklungen.
Morells verfremdende Gestaltungskraft plädiert für eine Welt, die den Menschen nicht mehr fremd, sondern deren Ausdruck ist.
 
Eine unerzählte Geschichte
 
Einen Schwerpunkt der Ausstellung bilden die 1960er und 1970er Jahre, als sich in dritter Künstlergeneration moderne Strömungen zu etablieren begannen, welche das kulturelle Bild Worpswedes nachhaltig veränderten. Gleichzeitig ging Worpswede selbst mit seiner Birkentristesse in das Werk an, aber ganz anders als man es von den ersten Künstler:innengenerationen kennt. Begleitet wird die Ausstellung von einer durch die Gemeinde unterstützte Monografie, die mit viel Text aber ebenso reichem Bildmaterial mehr als eine Einführung in das Werk von Morell bietet. Zum einen bringt sie eine Analytik des Schaffens des Künstlers zustande und zum anderen erzählt sie eine andere, nicht oft erzählte Geschichte Worpswedes.
Erschienen ist sie im Donat Verlag.


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