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Patrick Viol

Die Janusköpfigkeit der Empathie

Worpswede. An vier Orten im Künstler:innendorf lassen sich Arbeiten von zehn jungen Künstler:innen betrachten, deren gedanklicher Rahmen der Begriff Empathie bildet. Diese „Stories of Empathy“ genannte, teils performative Ausstellung läuft bis zum 16. Januar. Man sollte sie sehen.
Verstörend bezaubernd, bezaubernd verstörend: Eileen Lofink im DIY-Bondagekostüm bei ihrer Soundperformance zum Abschluss der performativen Vernissage..

Verstörend bezaubernd, bezaubernd verstörend: Eileen Lofink im DIY-Bondagekostüm bei ihrer Soundperformance zum Abschluss der performativen Vernissage..

Andere Zeiten, andere Ausstellungseröffnungen. Das dachten sich auch die Initiatorinnen des Austellungskonzeptes Philine Griem, die künstlerische Leiterin der Künstler:innenhäuser, und die Künstlerin Stella von Rohden und luden daher am vergangenen Wochenende zu einem performativen Spaziergang ein. Gekommen waren einige. Vor allem junge Menschen. Das ist naheliegend. Denn die Klammer der künstlerischen Geschichten der Empathie bildet die Frage: Was hat die Pandemie mit unserem Fühlen und Einfühlen angestellt? Und es sind nicht zuletzt insbesondere junge Menschen, welche die Pandemie psychischen Belastungen aussetzt. Durch den Verlust von Zeit und Nähe mit anderen, mit Freund:innen; durch die Erfahrung von Einsamkeit und Isolation.
Doch auch allerhand Aggressionen, Hass und Verschwörungstheorien, die vor allem aus einem ambivalenten Gefühl der Gesellschaft gegenüber entstehen, brachen sich bahn. Das Interesse an der künstlerischen Beantwortung der Frage nach unserem Gefühl/Einfühlen in der Pandemie war entsprechend groß.
 
Die Arbeiten
 
Gestartet wurde der Spaziergang am Barkenhoff, wo die Künstler:innenhäuser einen festen Ausstellungsraum erhalten haben. Zu sehen bekommt man im Barkenhoff sieben mit Bundstiften und Stickern erweiterte Aquarelle von Nikolaus Müller. Verstanden werden können seine Arbeiten als Ausdruck emotionaler und fragiler Zustände, als eine Absage an männliche Härte gegen sich selbst, gegen das eigene Gefühl.
Die nächste Station war der Wald auf dem Weg zur Großen Kunstschau. Dort performte Sascha Kregel. Mit Sound. Aus in Bäume gehängten Eimern hörte man starkes Wasserfließen. Dadurch verwandelte er das Gefühl der Spazierengehenden zu ihrer Umgebung. Während sie trocken stillsteht, erklingt fließender Sound. Das erste Resultat der inhaltlich nicht angekündigten Performance: Die Spaziergänger:innen unterhielten sich. Anders als zum Beispiel vor den Bildern im Barkenhoff, den alle fast wortlos durchschritten.
In der Großen Kunstschau ging die Kunst u. a. zu Boden. Die getapte Bodeninstallation von Elke Dreier „Organise Empathies“ ist zum Ablaufen gedacht. Von zwei Personen gleichzeitig. Dreier geht es um die Frage, was passiert, wenn man sich als Einzelner in zwei Menschen verschiedener Positionen zugleich einfühlt. Und ihre Videoarbeit „Decode Pulse“, die in der Albert Hall, dem Klohaus und ehemaligen Kiosk am Parkplatz (super Location übrigens), zu sehen ist, zeigt, wie eine junge Frau sich in sich selbst einfühlt und das Gefühlte sichtbar macht. Sie fühlt mit zwei Fingern am Hals ihren Puls und synchronisiert ihren Wimpernschlag mit dem Blutstrom durch die Hauptschlagader.
Die letzte Station des Spaziergangs bildete das Haus 6, das die Künstler:innenhäuser zwischennutzen können und wovon man nur hoffen kann, dass die Zwischennutzung von der Gemeinde verlängert wird. Denn über die aktuell gezeigte Kunst hinaus hat das Haus in der Hand von Philine und Bhima Griem als kultureller Ort tolles Potenzial.
Zusehen gibt es im Haus eine Video- und eine dreikanalige Diashowinstallation. Letztere, mit dem Namen „Innenleben“ von Luise Flügge, zeigt intime Fotografien der Lockdown verursachten Einsamkeit und Sehnsucht im Student:innenwohnheim anhand von Selbstporträts, Kleidung, Schatten und welken Zimmerpflanzen. Dabei changiert die Kamera zwischen der Position der heimlichen Beobachterin und des Mittels der Selbstbeobachtung. Die Installation der wechselnden Bilder verleiht den unterschiedlichsten Bildern zudem den Ausdruck vom Schwanken des Gemüts in der Isolation.
Zum Abschluss des Tages performte Eileen Lofink, deren Schaffen auch die gezeigte Videoarbeit „Private Viewing“ entstammt. Lofinks Soundperformance, bei dem sie - in einem DIY-Bondagekostüm gekleidet - verschiedene Klänge verschiedener Dinge loopte, um schließlich über die erzeugte Klangkulisse selbst zu singen und zu sprechen, hatte nicht nur etwas bezaubernd Verstörendes. Sie performte zum einen eine Einfühlung in den Klang gefühlloser Dinge und konfrontierte ihr Publikum zum anderen - mit der Gesamtheit von Klang und Erscheinung - mit einem inneren Zwang zur Überwindung der im eigenen Gefühl verankerten Hör- und Sehbedürfnisse.
 
Kunst zur rechten Zeit
 
Sehenswert ist die Ausstellung, samt der Performances (weitere sind für den 11. Dezember und den 16. Januar geplant), weil hier Empathie nicht einfach als etwas Positives verhandelt wird, was in der Pandemie eventuell verloren gegangen ist. Empathie erscheint anhand der Arbeiten als etwas durchaus Problematisches, gar Paradoxes. Zurecht. Denn ohne die Einfühlung in uns selbst, keine Begriffe von Einsamkeit und Verlorenheit. Ohne Einfühlung ließe sich beidem aber auch nicht Entkommen. Ohne Einfühlung kein wahres Verständnis des anderen, um gemeinsam Probleme zu lösen. Ohne Einfühlung, zum Beispiel in Verschwörungstheorien, aber auch keine Ideologien, die gesellschaftliche Probleme zu lösen erschweren. Schließlich: Ohne Einfühlung gäbe es keine Solidarität unter den Menschen, aber ebenso wenig faschistische Massenbewegungen, die über die Einfühlung in einen Führer mobilisiert werden.
Ja, man kommt zu einer widersprüchlichen, aber notwendigen Erkenntnis beim Besuch der Ausstellung „Stories of Empathy“: Es ist Zeit für Geschichten der Empathie, um aber zu begreifen, dass es nicht ihre Zeit allein sein darf. Bloßes Gefühl, Einfühlung - ebenso wenig wie es einen Kunstwerke und das, was sie mit einem machen, begreifen lässt - reicht nicht aus, um die Gesellschaft von ihren Problemen zu befreien. Einfühlung ist eine janusköpfige Bedingung. In der Kunst wie im Gesellschaftsprozess. Wie sie in der Kunst des Verständnisses der Formsprache bedarf, damit aus ihr authentische Kunstwerke entstehen können, so bedarf sie auf der Ebene des Gesellschaftsprozesses der Vernunft, damit die Lösungen, die von ihr ausgehen, nicht nach hinten losgehen. Das heißt letztlich: Wer emphatisch einfühlen will, der muss geistig stets den Bannkreis des eigenen Gefühls: seine notwenig subjektivistische Boniertheit übersteigen, jedoch ohne es zu unterdrücken.


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