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Umgang mit Demenz-Patienten: Vortrag im Musterhaus

Wie kann man sich in Demenz-Patienten hineinversetzen und sie bestmöglich unterstützen? Diesen Fragen widmete sich Dr. Margot Kempff-Synofzik in einem Vortrag in Osterholz-Scharmbeck.
Dr. Margot Kempff-Synofzik sprach im Musterhaus zum Wohnen mit Zukunft über den Umgang mit Demenz-Patienten.  Foto: ek

Dr. Margot Kempff-Synofzik sprach im Musterhaus zum Wohnen mit Zukunft über den Umgang mit Demenz-Patienten. Foto: ek

Osterholz-Scharmbeck. Und plötzlich taucht sie auf innerhalb der Familie: Demenz. Schon viel davon gehört und doch ist es plötzlich ganz neu und ganz anders, wenn es einen selbst trifft. Im Musterhaus zum Wohnen mit Zukunft in der Bahnhofstraße 51a sprach Dr. Margot Kempff-Synofzik von der Alzheimer Gesellschaft Lilienthal über Demenz und über den besten Umgang mit Betroffenen.
„Das Gehirn ist ein Organ, das wie jedes andere menschliche Organ in der Leistung nachlassen kann.“ Eine schwaches Herz, eine nicht mehr eins A funktionierende Lunge oder schlechte Augen seien wie die nachlassende Gehirnleistung nichts Beschämendes. „Wir müssen die Demenz aus der Tabuzone herausholen“, forderte die Ärztin aus Lilienthal.
Dank Büchern wie das von Gerhard Hüther „Raus aus der Demenzfalle“ könne man wissen, wo man ansetzen könne. „Wir wissen, dass das Gehirn auch im Alter neue Nervenzellen und deren Ausläufer und Verzahnungen bilden kann.“ Man müsse lediglich das Gehirn beanspruchen. „Nichts zu tun ist gefährlich: Also runter vom Sofa und sich engagieren!“
 
Demenz ist nicht gleich Alzheimer
 
Demenz und Alzheimer sei nicht dasselbe. „Das ist, als würde ich nach dem Unterschied zwischen Äpfeln und Obst fragen.“ Alzheimer sei eine bestimmte Form der Demenz, die rund 60 Prozent der Patienten hätten. Eine andere sei die Gefäßverkalkung oder früh einsetzende Sonderformen. Schuld an der Demenz seien Amiloyd-Eiweiße und Tau-Proteine, die sich zwischen den Nervenzellen im Gehirn ablagerten.
„Doch eine Diagnose ist dabei nicht entscheidend“, sagte Dr. Kempff-Synofzik. Das führe zu schnell zum Schubladendenken, könne aber auch ein Segen sein beim richtigen Umgang damit. Der Hauptrisikofaktor für eine Demenzerkrankung sei nun mal das hohe Alter. „Doch Angst vorm Altwerden sollten Sie nicht haben. Man bekommt nicht zwangsläufig eine Demenz.“
Der Zustand des alternden Organs Gehirn sei davon abhängig, wie man überhaupt im Leben mit seinem Körper umgegangen sei. Viel Bewegung und eine eiweißreiche Ernährung gerade im Alter sei sehr gut. „Und anhand der Nonnenstudie konnte man erfahren, dass ein In-der-Funktion-Bleiben eine Demenz sehr gut kaschieren kann.“ In der besagten Studie hätten Nonnen eines Stifts alle ihr Gehirn post mortum der Wissenschaft überlassen, die feststellte, dass sie ausnahmslos alle an ausgeprägter Demenz erkrankt waren, das jedoch nicht auffiel, da sie jeden Tag in ihrer Gemeinschaft die gleichen Arbeiten verrichtet hatten.
Ein an Demenz erkrankter Mensch verlöre in der Regel seinen Orientierungssinn. „Stellen Sie sich vor, Sie werden in ein Auto gesetzt und nach stundenlanger Fahrt irgendwo allein abgesetzt. Sie erkennen nichts. Was fühlen Sie?“ Mit diesem Bild fiel es leichter, sich in eine erkrankte Person hineinzuversetzen. „Sie orientieren sich anhand von Zeit, obwohl das auch bei uns Gesunden leicht zu stören ist. Zweitens orientieren Sie sich am Ort: Wo bin ich. Wenn der Demenzerkrankte denkt, er sei im Harz, versuchen Sie nicht, ihm das vehement auszureden oder ihn anzuschwindeln, dass man im Harz sei. Man kann es auffangen und antworten, es riecht wie im Harz oder die Bäume erinnern Sie auch an den Harz.“
 
Brücken bauen aus dem Nebel
 
Als Drittes nannte Kempff-Synofzik Personen, an denen man sich orientiert. „Menschen mit Demenz leben mit dem Rest der Erinnerungen in der Gegenwart. Für die Patienten ist das die Realität. Wir müssen ihnen Brücken bauen in und aus dem Nebel. Das muss nicht der Patient tun.“ Wenn der Demenzkranke beim Anblick von roten Ampeln fürchte, dass die Russen einfielen, fange man das auf mit einem verstehenden Satz wie „Das war für alle eine schlimme Zeit damals.“ Der vierte Orientierungspunkt sei die Situation. Wenn beim Anblick der Scheibe Brot oder des Waschbeckens mit Lappen und Seife nicht mehr Essen oder Waschen verknüpft sei, sei das sonst so in der Seniorenpflege verpönte „Wir waschen uns jetzt“ oder „Wir essen jetzt“ angesagt. Das Nachahmen helfe manchmal weiter in die Handlung.
 
Drei Schritte der Demenz
 
Das Fortschreiten der Erkrankung sei grob in drei Schritte zu teilen: „Das Begleitungsbedürfnis: Es fehlen plötzlich die Hauptwörter, Denken, Sprechen, die Orientierung sind gestört. Da lässt sich viel auffangen durch Begleitung und kurze klare Sätze sind absolut richtig.“ Zweiter Schritt Verwirrtheit: „Hier spielt die Wertschätzung die größte Rolle. Jeder Mensch ist anders albern“, zitierte sie einen alten Lilienthaler Nachbarn. Der dritte Schritt sei die Geborgenheitstherapie, wenn der Demenzerkrankte nicht mehr spreche. „Nur noch Gefühle sind da. Diese Therapie kennen wir aus der Säuglingstherapie, die auch nicht mehr können als weinen. Wir geben diesen Menschen Geborgenheit, das sind wir ihnen schuldig“, fand die Ärztin.
 
Zwischen zwei Welten
 „Man stirbt eigentlich nicht an Demenz, doch man lebt zwischen zwei Welten: Im Innen und im Außen, in der Gegenwart und in der Vergangenheit.“ Um einer Demenz im Alter vorzubeugen, empfahl die Medizinerin Aufgaben. „Was fürs Herz gut ist, ist auch fürs Gehirn gut. Sich um jemanden sorgen zu können, ist uns Menschen eingepflanzt, das tut jedem Menschen gut. Einsamkeit, Hilflosigkeit und Langeweile schädigen Körper und Geist.“ Niemand könne sagen, wie lange ein Mensch mit Demenz zu Hause wohnen bleiben könne. „Eins ist ganz wichtig: Nehmen und geben Sie niemals Versprechen ab, nie ein Pflegeheim in Betracht zu ziehen, klar?“ Der Umzug in ein Heim sei eine sehr große Umstellung und bedeute für den Patienten durchaus Lebenszeitverringerung. „Die Qualität eines Heimes steht und fällt allein mit den Pflegenden. Das tollste Heim ist schlecht, wenn die Pflegenden nicht gut sind.“ Und Frau Dr. Kempff-Synofzik tat sehr gut daran, den Zuhörern Hausaufgaben mitzugeben in Form eines Textes mit dem Titel „Wenn ich dement bin…“: „Erinnere mich“, heißt es da. Der Umgang mit dementiell Erkrankten brauche viel Zeit und viel Geduld. Und das wünschen wir uns im Grunde alle.


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