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Patrick Viol

Mitten im Kalten Krieg - Interview mit Herbert Behrens (Die Linke) über Defender 2020

Garlstedt (pvio). Im April und Mai wird mit Defender 2020 einer der größten NATO-Manöver seit dem Ende des Kalten Krieges durchgeführt. Dabei wird die Lucius D. Clay Kaserne in Garlstedt die Rolle der logistischen Drehscheibe spielen. Der ANZEIGER sprach mit Herbert Behrens über das Manöver, die Kritik der hiesigen Friedensfreund*innen und deren Proteste.
 

ANZEIGER: Herr Behrens, die Lucius D. Clay-Kaserne wird im April/Mai zum Umschlagplatz für das Großmanöver Defender 2020. Umschreiben Sie doch bitte, worum es bei diesem Manöver geht.
 
Behrens: Defender 2020 ist so angelegt, dass insbesondere die US-Armee nachweisen will, dass sie in der Lage ist, sehr schnell Kräfte aus den USA nach Europa zu verlegen. Allein 20.000 Soldaten kommen direkt aus den USA, die sich mit 9.000 hier in Deutschland stationierten US-Soldaten vereinigen. Weitere 8.000 NATO-Soldaten kommen noch dazu. Deutschland wird zur Drehscheibe für diese Bewegung, um die Truppen samt Material von Mitteleuropa aus an die Ostflanke der NATO, so wird es genannt - man kann auch sagen: an die Ostfront der NATO, zu versenden, um in den baltischen Staaten und Polen Manöver durchzuführen.
 
ANZEIGER: Ihre Partei Die Linke und Friedensbewegte vor Ort mobilisieren gegen den Aufmarsch in Garlstedt. Was ist genau die Kritik an dem Manöver?
 
Behrens: Garlstedt hat sich ja inzwischen eine ziemliche Expertise aufgebaut bezüglich der Verlegung von großen Verbänden an die „Ostfront der NATO“. Garlstedt übernimmt dabei die Rolle der logistischen Drehscheibe. Hier werden bei dem Großmanöver insgesamt 37.000 Soldaten logistisch mit abgewickelt. Das macht den Friedensfreunden hier am Ort doch schon einige Sorgen. Weil das Bedrohungspotenzial, das von der Kaserne ausgeht oder mit der Stadt verbunden ist, Garlstedt zum Ziel machen würde, wenn es zu einer kriegerischen Auseinandersetzung käme.
 
ANZEIGER: Sie sprechen von einem Bedrohungspotenzial für Garlstedt, wenn Krieg wäre. Fände dieser mögliche Krieg zwischen Russland und der NATO statt?
 
Behrens: Die Logistikschule in Garlstedt ist seit 2017 an der Abwicklung der Transporte im Rahmen der „Operation Atlantic Resolve“ beteiligt. Alle neun Monate werden 4.000 US-Soldaten samt Gerät in Polen und den baltischen Staaten ausgetauscht, weil man sich vertraglich festgelegt hat, keine dauerhafte Stationierung an der russischen Grenze vorzunehmen. Im Zusammenhang mit der Operation sagte der Oberbefehlshaber der US-Truppen in Europa Ben Hodges, dass es eine kriegerische Auseinandersetzung geben kann. Und wenn ein Oberbefehlshaber den Begriff „Krieg“ in den Mund nimmt, muss man sich doch fragen: Was heißt denn Krieg? Es ist eine Auseinandersetzung, die mit entsprechenden Schlägen und Gegenschlägen verbunden ist. Mag sich heute niemand mehr vorstellen. Wir wissen aber, dass Kriege auch in Europa wieder möglich sind.
 
ANZEIGER: Spätestens seit dem Ukraine-Konflikt 2014?
 
Behrens: Spätestens seit 1999 mit dem NATO-Angriff auf Serbien.
 
ANZEIGER: Vor dem Hintergrund des 8. Mai und dem Jahrestag der Befreiung von Auschwitz durch die Rote Armee bezeichnen sie die Tatsache, dass ein NATO-Manöver im April und Mai an der Westgrenze zu Russland stattfinden soll, als eine Provokation Russlands.
 
Behrens: Richtig!
 
ANZEIGER: Worin liegt genau die Provokation?
 
Behrens: Das Manöver im Jahr 2020 an der Ostgrenze der NATO, im 75. Jahr des Endes des Zweiten Weltkrieges und der Befreiung von Auschwitz, ist insofern unverantwortlich, als dass es jedes historische Bewusstsein vermissen lässt. Wäre es nicht sinnvoller, im 75. Jahr des Kriegsendes diplomatische Initiativen zu starten und zu sagen, wir sehen eine Konfliktsituation zwischen Russland und den NATO-Staaten, und diesen Konflikt müssen wir abbauen? Aber Nein - die NATO fährt im 75. Jahr mit massivem militärischen Gerät an die „Ostfront“. Das ist doch nicht zufällig, sondern vorsätzlich, um zu provozieren. Und irrationale Provokationen führen zu irrationalen Handlungen, wozu auch Russland fähig ist. Wir hören, dass ein neuer Kalter Krieg droht. Ich bin der Meinung, wir sind bereits mittendrin im Kalten Krieg.
 
ANZEIGER: Stichwort Russland: Russland verhält sich auch nicht im Eingedenken der Vernichtungskraft militärischer Auseinandersetzungen als ein Land, das absieht von militärischen Aktionen, wenn man sich das Agieren in Syrien anschaut.
 
Behrens: Ich hab das immer so formuliert: Russland hat sich 2015 an den Verhandlungstisch „zurückgebombt“. Seit 2011 unterstützten Frankreich, die Türkei, die USA und auch Deutschland direkt und indirekt die Kämpfer gegen den syrischen Diktator Assad. Wenn man sich auf das Völkerrecht bezieht, dann müssen wir sagen: Das einzige Land, das sich in Syrien legitim aufhält und dort kämpft, ist Russland. Russland ist seitdem Kriegspartei und Verhandlungspartei. Auch führt das russische Militär wieder große Manöver im eigenen Land durch. Was meine These vom Kalten Krieg, in dem wir uns bereits befinden, bestätigt.
 
ANZEIGER: Unter dem Motto: „Stopp Defender 2020“ rufen sie zur Beteiligung an einer Demonstration am 22. Februar In Bremerhaven auf. Im April sollen Protestaktionen auch in Garlstedt folgen. Wie sollen die aussehen?
 
Behrens: Einige Friedensfreunde haben sich zu Vorbereitungen getroffen. Grundsätzlich war die Stimmung so, dass wir uns mit diesen militärischen Zumutungen nicht abfinden wollen. Das Großmanöver bedeutet eine ganz klare Zuspitzung der angespannten Situation zwischen Russland und der NATO. Wir wollen Stellung beziehen, dass wir diese Provokation und Aufrüstung nicht akzeptieren. Da bietet es sich an, an den Ort des Geschehens in Garlstedt zu gehen und unsere Forderungen deutlich zu machen. Dort hat es früher auch schon Proteste gegen die Aufrüstung durch die Ansiedlung einer US-Brigade gegeben. Das Ganze soll als ein Ostermarsch stattfinden.
Was wir dort machen wollen, werden wir am 25. Februar im Fidelio in Osterholz-Scharmbeck in einem offenen Treffen diskutieren. Ich gehe davon aus, dass sich ein breites Bündnis von Parteien, Gewerkschaften und Initiativen zusammenfinden wird. Eine Protestform könnte sein, dass man in Garlstedt vor dem Kasernentor friedlich sein Demonstrationsrecht wahrnimmt, um zu dokumentieren: Wir wollen diese indirekte und direkte Aufrüstung nicht mehr. Wir wollen eine neue Ostpolitik. Eine Politik, die nicht auf Stärke und Konfrontation, sondern auf Zusammenarbeit setzt.
 
Das Interview führte Patrick Viol


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