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Patrick Viol

Kommentar: Statt Impfpflicht eine Impfung aus Pflicht

Die Frage, ob man sich impfen lässt oder nicht, lässt sich nur moralisch und das heißt - zumindest mit Immanuel Kant - unabhängig vom persönlichen Gefühl beantworten, meint Chefredakteur Patrick Viol.
Diffuse Ängste sind keine guten Beraterinnen in der Pandemie. (Bild: L. Popowa/wikicommons)

Diffuse Ängste sind keine guten Beraterinnen in der Pandemie. (Bild: L. Popowa/wikicommons)

Es ist schon verrückt: Einerseits gibt es niemanden, der ernsthaft sagt: Also, ich finde das Leben in dieser Pandemie eigentlich ganz entspannt. Kann von mir aus noch länger so weitergehen. Hierbei lasse ich jetzt mal diejenigen, die behaupten, es gäbe keinen Virus bzw. Corona sei nur eine Masche dunkler Mächte, um die neue Weltordnung einzuleiten, beiseite. Andererseits gibt es aber erschreckend viele, die am greifbaren, einzig gangbaren Weg aus dieser Krise zweifeln und sich nicht impfen lassen bzw. erst einmal abwarten wollen. Von diesen Impfzweifler:innen - nicht Impfgegner:innen wohlgemerkt - arbeiten nicht wenige auch in der Pflege. In manchen Einrichtungen lassen sich nur 30 bis 40 Prozent der Pflegekräfte impfen. Dadurch sei allgemein die Impfquote zu niedrig, wie Armin Laschet kritisierte. Und nicht zuletzt aufgrund dieses Zögerns der Pflegekräfte hat Markus Söder die Überlegung einer berufsbezogenen Impfpflicht in den politischen Diskurs eingebracht. Um Risikogruppen so gut wie möglich zu schützen. Eine solche begrenzte Impfpflicht anzuordnen wäre rechtlich, mit Zustimmung des Bundesrates, durchaus möglich.
Aber eine Impfpflicht wird es nicht geben, so Bundesgesundheitsminister Spahn. Weder eine allgemeine noch eine für besondere Berufsgruppen. „Die Bundesregierung hat klar gesagt, dass es keine Pflicht zur Impfung gegen Corona geben wird. Das Wort der Bundesregierung gilt“, sagte auch Bundesjustizministerin Christine Lambrecht.
Unter den pflegenden wie nicht-pflegenden Zweifler:innen, das liest man immer wieder in den Sozialen Medien, kursiert eine diffuse, wissenschaftlich unbegründete Angst vor Langzeitfolgen. Entsprechend setze man auf Aufklärung und Argumente, so Spahn, um Pflegekräften die Angst zu nehmen und so dazu zu bewegen, sich impfen zu lassen. Das kann ich nur befürworten. Anstatt staatlichen Zwang anzuwenden, appelliert man an die Einsichtsfähigkeit der Menschen. Und ich denke, dass man einigen die Angst nehmen kann, indem man ihnen erklärt, dass es z. B. wissenschaftlich betrachtet keine Impf-Langzeitfolgen gibt. Höchstens Nebenwirkungen, die spätestens im Zeitraum einiger Tage auftreten. Zudem kann es nicht sein, dass man Pflegekräfte nun an den gesellschaftlichen Pranger stellt.
Ich denke aber auch, dass es nicht ausreichend ist, den Menschen, egal, wo sie arbeiten, lediglich die Angst vor einer Impfung zu nehmen. Es muss darum gehen, die Menschen davon zu überzeugen, dass sie sich - wie es der Philosoph Immanuel Kant formuliert - „aus Pflicht“, d. h. ganz egal, ob sie Angst haben oder nicht, impfen lassen. Man muss sie davon überzeugen, dass die Frage, ob man sich impfen lässt oder nicht, keine Frage des persönlichen Gefühls ist, sondern eine Frage von allgemeiner Moral und universeller Vernunft. Und das bedeutet schlicht und einfach, sich in einer die Menschheit geißelnden Pandemie mit Kant zu fragen, ob man von der Maxime seiner Handlung wollen kann, dass sie zugleich „allgemeines Gesetz“ wird.
Sich nicht impfen zu lassen, hieße hiernach, zu wollen, dass niemand sich impfen lässt; dass also die Pandemie anhält und weiter Menschenleben und Einschränkungen fordert. Wer aber will, dass die Pandemie endet, kann sich moralisch nicht gegen eine Impfung entscheiden. Ebenso wenig dafür, abzuwarten. Und wer es trotzdem tut, entzieht sich der moralischen Grundlage, staatliche Impfungen gegen den eigenen Willen zu kritisieren. Denn wer willentlich unmoralisch handelt, erhebt unmoralisches Verhalten zum allgemeinen Gesetz und stimmt damit zu, unmoralisch behandelt zu werden. Logisch, oder?


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