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Anschluss verpasst?

(pvio). Man soll aufhören, wenn es am schönsten ist - das finden hinsichtlich des 9-Euro-Tickets vor allem Liberale. Grüne und Linke fordern hingegen eine Weiter- oder zumindest eine Anschlusslösung.

Mittlerweile nennt man es Experiment, dabei war es zunächst als eine Entlastung für die hohen Spritpreise gedacht: das 9-Euro-Ticket. Nun, nachdem man drei Monate lang für neun Euro pro Monat quer mit den Regionalbahnen und -expressen durch Deutschland fahren konnte, endet das sogenannte Experiment, an dem 38 Millionen Menschen teilgenommen haben und das die meisten Politiker:innen als Erfolg verbuchen. Laut Statistischem Bundesamt seien im Vergleich zu 2019 im Durchschnitt 42 Prozent mehr Eisenbahnfahrten unternommen worden, vor allem in ländliche und touristische Gebiete. Hier lagen die Reisen mit der Bahn um jeweils 80 Prozent höher. Aber: Eine Weiterführung, die sich laut Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Civey 55 Prozent der Deutschen wünschten, ist nicht vorgesehen und eine Anschlusslösung ist noch nicht gefunden.
 
Nein von Lindner
 
Eine Weiterführung des 9-Euro-Tickets sei laut Bundesfinanzminister Christian Lindner nicht finanzierbar und ebenso wenig „nachhaltig“. Stichwort: Einhaltung der Schuldenbremse ab 2023. Zudem spreche aus solchen Forderungen eine „Gratismentalität à la bedingungsloses Grundeinkommen.“ Für diese wie ebenso für die Aussage, es sei vor allem die „Antifa“, die das 9-Euro-Ticket behalten wolle, hat der Finanzminister, der mit Steuergeldern den Personenschutz auf seiner Hochzeit finanzierte, zwar ordentlich Kritik einstecken müssen, seine Meinung zum 9-Euro-Ticket hat das aber nicht geändert.
 
Interessante Variante
 
Auch Lindners Parteikollege und Beauftragte der Bundesregierung für den Schienenverkehr Michael Theurer hält eine Weiterführung des 9-Euro-Tickets für nicht finanzierbar. Im Gegensatz zum Finanzminister findet er aber, dass ein 69-Euro Ticket eine „sehr interessante Variante“ sei, wie der FDP-Politiker der Heidelberger Rhein-Neckar-Zeitung sagte.
Ein solches Ticket, als Klimaticket gefasst, hatte bereits im Juli der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen vorgeschlagen. Auch deshalb, um dem Tarifdschungel zu entfliehen, was die meisten Bus- und Bahnfahrer:innen begrüßen würden.
Die Kosten für ein solches Angebot - damit die Verkehrsbetriebe keine Verluste machen - bezifferte VDV-Hauptgeschäftsführer Oliver Wolff auf rund zwei Milliarden Euro pro Jahr.
Zahlen müssten die Kosten zunächst einmal die Länder. Wenn sich aber in der Auswertung des 9-Euro-Tickets zeige, dass billiger ÖPNV signifikant zum Klimaschutz beträgt, bestehe „mit Sicherheit auch eine Möglichkeit, dass der Bund die Länder weiter unterstützt“, so Theurer weiter. Dazu müsse man die Evaluation abwarten, die bis November abgeschlossen sein soll.
 
Geld fürs Schienennetz
 
Konsens unter den Liberalen ist: Dass das Geld für den ÖPNV nicht in die Finanzierung eines billigen Tickets, sondern in die Verbesserung der Infrastruktur gesteckt werden müsse. Das sehen auch die Jungen Liberalen in Rotenburg so, auch wenn sie als Junge Menschen sehr vom billigen Ticket profitiert hätten: „Das Ganze wird mit einer Menge Steuergelder finanziert, die eben viel sinnvoller z. B. in den Ausbau des Schienennetzes oder die Digitalisierung fließen sollten. Denn ohne diese Investition wird das 9 Euro-Ticket auf Dauer den öffentlichen Nahverkehr weder verbessern noch beliebter machen, um mehr Menschen dazu bewegen, das Auto stehen zu lassen“, wie Nico Steinberg, Kreisvorsitzender der JuLis Rotenburg mitteilt. Sie fordern zur Entlastung junger Menschen aber ein günstiges Azubi-Ticket. Auf dessen Umsetzung durch die Landesregierung warte man jedoch schon lange.
 
Vergebene Chance
 
Dass zur Steigerung der Attraktivität des ÖPNV und somit zu einer erfolgreichen Verkehrswende „massive Investitionen in den Ausbau von Verbindungen und Taktungen im Nahverkehr“ unerlässlich seien, das sieht auch die Grüne Jugend Ritterhude so. Sie fordern dennoch, dass es „ein dauerhaft deutlich vergünstigtes Ticket als attraktiven Anschluss an das 9-Euro-Ticket geben“ müsse, wie es Marten König und Moritz Rauch formulieren. Keine direkte Anschlusslösung wäre eine „vergebene Chance“. Für die Finanzierung schlagen sie „die Streichung klimaschädlicher Subventionen wie des Dienstwagenprivilegs oder der Pendlerpauschale oder die Einführung einer Übergewinnsteuer für Energiekonzerne“ vor. Solche Forderungen kommen auch vom Bundesvorstand der Grünen Jugend. Ausdruck verleihen wollen sie ihnen beim bundesweiten Protesttag zur Weiterführung des 9-Euro-Tickets am 27. August. Zu dem ruft auch die Linksjugend auf.
 
Weitere Vorschläge
 
Andere Vorschlage haben beispielsweise Verbraucherzentralen und die Linken zusammen mit dem BUND unterbreitet. Erstere schlagen ein 29 Euro Monatsticket vor - auch deshalb, weil sie einen Anstieg der Nahverkehrspreise für Verbraucher:innen aufgrund der gestiegenen Energiepreise befürchten. Die Linke und der BUND haben den Vorschlag eines 365 Euro Jahresticket eingebracht.
Wie es letztlich weitergehen wird, darüber sprachen am vergangenen Freitag die Verkehrsminister:innen der Länder - leider nach Redaktionsschluss.


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