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Sarah Lenk

Sarahs Nachtgeschichten: Die Schönheit der Großzügigkeit

Nachtbeobachtungen durch die philosophische Brille, mit dunklem Witz und Kritik - unsere Kolumne von Sarah Lenk.

Bild: Wiki commons

21:37h in irgendeinem Restaurant am Samstagabend. Der Tisch nebenan ist schon der zweite, der kein Trinkgeld gibt und ich schäme mich ein bisschen für meine Mitbürger. Ich glaube, dass sich an der deutschen Einstellung zum Trinkgeld unsere Kultur von einer ihrer hässlichsten Seiten zeigt.

Vorweg: Ich hasse niemanden, der kein Trinkgeld gibt. Trinkgeld ist freiwillig und muss auch freiwillig bleiben. Nur so funktioniert es. Denn das darf nichts mit Müssen zu tun haben, sondern mit seinem wunderbaren Gegenteil - dem Dürfen. Der Anerkennung zeigenden Großzügigkeit. Welche in der deutschen Kultur wenig Platz hat. Und das zeigt sich am Unverständnis dem Trinkgeld gegenüber, welches erschreckend weit verbreitet ist. In jeder Internetkommentarspalte zum Thema Gastronomie finden sich Sätze darüber, dass man aus Prinzip kein Trinkgeld gebe, weil das ja keine Pflicht sei und der Arbeitgeber die Lohnkosten auf den Gast abwälzt.

Das sind alles Leute, die Ausgehkultur nicht verstanden haben. Leute, die viel weggehen, oder das früher mal gemacht haben, die geben alle Trinkgeld. Nicht nur ihren Freunden und Bekannten, sondern allen.

Ich bin Barkeeperin. Eine sehr gute. Das besteht nicht nur darin, dass ich sehr schnell und konzentriert arbeite und schön dekorierte Drinks mache. Sondern auch in einer gewissen Herzlichkeit. Sobald ich hinter die Bar gehe legt sich eine Art Schalter um, das ist über Jahre trainiert. Egal wie es mir geht, ich begegne den Leuten mit einer gewissen Offenheit und Freundlichkeit, so dass sie das Gefühl haben, willkommen zu sein. Berate sie über Getränke, oder erkenne auch, wenn sie keine Beratung wollen und halte mich zurück. Kurzum – ich gebe mein Bestes, ihnen einen schönen Abend zu bereiten. Diese Herzlichkeit, die ist tatsächlich da, die ist echt. Und als Anerkennung dessen gibt es das Konzept Trinkgeld. Ich freu mich darüber, weil jemand meine Mühe anerkennt und mir eine Freude machen möchte. Und dieses Gefühl hilft dabei, auch den nächsten Gästen wieder genauso freundlich und herzlich zu begegnen. Deshalb ist die Freiwilligkeit so wichtig. Es handelt sich um Geschenke. Um das Bedürfnis, anderen: Fremden eine Freude zu machen - ohne Verpflichtung oder vertragliche Absprache.

Ich selbst gebe absurd Trinkgeld, wie alle Leute, die in der Gastronomie arbeiten. Auch bei schlechtem Service. Die Schönheit der Großzügigkeit liegt nämlich auch darin, dass sie nicht nur dem Gegebenen, sondern auch dem Gebenden Freude bereitet. Diese Freude könnten sich übrigens die meisten Deutschen, die ausgehen, auch leisten. Trinkgeld nicht zu geben, ist kein Ausdruck eingeschränkter finanzieller Möglichkeiten. Sondern eines prinzipiellen Unwillens, in dem sich die ganze zivilisationsfeindliche deutsche Borniertheit zusammenzieht, die hierzulande namentlich ekelhaft wird: Niemandem freiwillig irgendetwas gönnen; immer drauf achten, dass man möglichst viel bekommt.

Mit Freude abgeben können Deutsche anscheinend nur an jene etwas, die sie dazu zwingen, das zu tun, aber dafür mit kollektivem Narzissmus belohnen: freie Zeit an ihre Arbeitgeber zum Beispiel.

 


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