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Luisa Mersmann

Ein Ende der Stigmatisierung?

Expertenrat schlägt Neuregelung für Abtreibungen und stößt auf geteilte Reaktionen. Osterholzer Superintendentin begrüßt den Vorschlag.

Eine von der Bundesregierung eingesetzte Kommission hat nach einem Jahr Besprechungszeit ihren Bericht über den umstrittenen §218 StGB veröffentlicht. Die Ergebnisse spalten die Gesellschaft. Zuspruch kommt von Osterholzer Superintendentin.

Die Bundesregierung hat vor etwa einem Jahr eine Expertenkommission eingesetzt, die sich mit dem §218 StGB auseinandersetzen sollte. Dieser besagt, dass Schwangerschaftsabbrüche innerhalb der ersten zwölf Wochen straffrei bleiben sollen, sofern sich die Schwangere beraten lassen und eine Wartezeit von drei Tagen nach der Beratung eingehalten hat. Straffrei bleibt eine Abtreibung auch dann, wenn medizinische Gründe vorliegen oder eine Vergewaltigung stattgefunden hat. Ansonsten stehen Schwangerschaftsabbrüche im §218 StGB seit 1871 unter Strafe.

 

Einschätzung des Expertenrats

Mitte April veröffentlichte die eingesetzte Kommission ihre Ergebnisse. Sie teilt eine Schwangerschaft in ihrem Bericht in drei Phasen ein: Ein Abbruch innerhalb der ersten zwölf Wochen, also in der Frühphase, sollte in jedem Fall straffrei sein. In der mittleren Phase, bis zu 22. Woche, solle der Gesetzgeber entscheiden, unter welchen Voraussetzungen ein Abbruch straffrei sein soll. In der letzten Phase, ab der 22. Woche, sollte ein Abbruch rechtswidrig sein.

Die Kommission erklärte, dass „die grundsätzliche Rechtswidrigkeit des Abbruchs in der Frühphase der Schwangerschaft“ nicht haltbar sei.

Jutta Rühlemann, Superintendentin des Kirchenkreises Osterholz-Scharmbeck, begrüßt die Vorschläge des Expertenrats. Für Frauen sei die Entscheidung für einen Abbruch immer auch mit Schuldgefühlen, Gewissensbissen und dem Bewusstsein verbunden, dass eine schwerwiegende Entscheidung getroffen werde, die eine lebenslange Bedeutung mit sich zieht. „Frauen entscheiden sich nicht leichtfertig. Es scheint unangemessen, die Gruppe durch den zur Zeit bisher geltenden Paragrafen weiterhin zu kriminalisieren“, so Rühlemann, die sich für ihre Stellungnahme mit den Mitarbeitenden der Schwangerschaftskonfliktberatung beraten hat.

Sie betont jedoch auch, dass eine Gesetzesänderung alleine nicht ausreiche, damit die Stigmatisierung von Frauen aufgehoben wird.

 

Schlechte Versorgungslage

Neben der Stigmatisierung und Kriminalisierung der Frauen herrscht noch ein weiteres Problem. Die Versorgung von Beratungsstellen oder gar Abtreibungskliniken in Deutschland ist schlecht. Das hat eine aktuelle Umfrage des Projektes „Erfahrungen und Lebenslagen ungewollt Schwanger“ (ELSA) ergeben, das vom Bund gefördert wird. Demnach haben von mehr als 5.000 befragten Frauen 60 Prozent Schwierigkeiten erlebt, wenn sie Informationen in ihrer Region zu einem Schwangerschaftsabbruch gesucht haben. Mehr als jede vierte Frau musste mehr als eine Einrichtung anrufen, damit sie einen Termin für einen Abbruch bekommt.

Dabei sei eine Beratung für viele Frauen die einzige Möglichkeit, in einem geschützten Raum offen über ihre Situation zu sprechen, erklärt Rühlemann. Insgesamt sei die Versorgungslage von Beratungsangeboten in unserer Region ausreichend, besonders im Vergleich zu Bayern oder Baden-Württemberg. Ein Problem sieht Rühlemann viel mehr in der Versorgung mit Ärztinnen und Ärzten, die einen Abbruch vornehmen. Wie fast überall sei auch bei uns in der Region die Anzahl deutlich gesunken.

Die Mitarbeiterinnen der Beratungsstelle in Osterholz-Scharmbeck sprechen sich für eine Beratung aus, wenn die Frau sich in einer Konfliktsituation befindet. „Viele Frauen fürchten zunächst die Beratung, da sie eine Pflicht ist. Wenn sie im Gespräch spüren, dass sie angenommen und nicht gedrängt oder bewertet werden, können sie sich öffnen.“

 

Kritik an der Empfehlung

Neben viel Zuspruch von Organisationen wie z.B. Pro Familia Bremen, die eine Neuregelung für angebracht halten, erhält der Vorschlag der Kommission auch viel Kritik. Zum einen sprechen sich Katholische Bischöfe klar gegen eine Reform aus. Das jetzt geltende Gesetz schütze ihrer Ansicht nach sowohl die Mutter als auch das ungeborene Kind. Und auch die Union hält eine Neuregelung für nicht umsetzbar. Die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Andrea Lindholz, sagt, dass „eine grundsätzliche Legalisierung dem Lebensrecht des Kindes entgegenstehen“ würde. Man könne nicht einfach alles legalisieren, nur weil es sich um eine schwierige Situation handle. Thorsten Frei, Erster Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion geht sogar noch einen Schritt weiter. Er drohte bereits damit, dass die CDU eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht in Erwägung ziehe, wenn sich die Regierung auf die Empfehlung einlasse.

 

Handeln der Regierung

Die Bundesregierung selbst zeigt sich bisher zurückhaltend das Thema betreffend. Justiz-, Gesundheits- und Familienministerium wollen sich Zeit nehmen, die Vorschläge zu prüfen und darüber zu diskutieren. Eins sei jedoch sicher, die Regierung werde keine kurzfristige Neuregelung für den §218 StGB erarbeiten, da die Sorge bestehe, die Gesellschaft zu polarisieren.

Jutta Rühlemann sei es wichtig, dass das Netz der Beratungen unbedingt aufrecht erhalten wird, falls es zu einer Gesetzesänderung kommen sollte. Zusätzlich sollten die Beratungsstellen weiterhin finanziell unterstützt werden. Nur so könne den Frauen ein geschützter Raum geboten werden, in dem sie ihre Situation erklären können.


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