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Ralf G. Poppe

Zum 80. Geburtstag von Günter Zint

Behrste. Er ist umtriebiger als manch junger Mann. Und nun 80 Jahre jung. Derzeit bereitet Günter Zint die eigene Stiftung sowie eine Ausstellung „seines“ St. Pauli-Museums im Schwedenspeicher in Stade vor.
Günter Zint kurz vor seinem Geburtstag mit Björn Protze in der „freien Republik Behrste“. Foto: rgp

Günter Zint kurz vor seinem Geburtstag mit Björn Protze in der „freien Republik Behrste“. Foto: rgp

Zint wurde am 27. Juni 1941 um 14:15 Uhr in Fulda geboren. Laut seiner Biografie „Zintstoff“ (in der aktualisierten Ausgabe „Zintstoff 2“ mittlerweile in der vierten Auflage gedruckt) begannen erste Probleme im Elternhaus, als sein Gehirn anfing, sich eigenständig zu entwickeln, und er im „christlichen“ Elternhaus viele Ungereimtheiten entdeckte. Fragen zum gerade vergangenem Dritten Reich wurden nicht beantwortet. Auf konkrete Nachfragen gab es ein „Davon haben wir nichts gewusst.“ Vielleicht sorgte genau das dafür, das aus dem jungen Zint ein weltoffener, pazifistischer Verfechter für Menschrechte wurde, der als (Zitat) „Gebrauchsfotograf“ die ihm wichtig gewordenen Schwerpunkte Umwelt, Soziales und den Kiez auf St. Pauli dokumentierte.
 
Volontariat bei der dpa
 
Obwohl man in den 60er-Jahren erst mit 21 Jahren volljährig wurde, trieb es ihn bereits 1959 aus dem bürgerlichen Elternhaus. Zint bewarb sich ohne Wissen der Eltern bei der Deutschen Presse-Agentur (dpa) in Frankfurt als Bildvolontär. Als der Vater den Ausbildungsvertrag unterschreiben sollte, musste der angehende Fotograf dem Redaktionsleiter gestehen, dass er sein Elternhaus heimlich verlassen hatte. Der dpa-Chef war verständnisvoll, die Karriere nahm ihren Lauf. Das Volontariat verbrachte GüZi - wie er liebevoll, oft und gern genannt wird - in Büros in Frankfurt, Berlin und München. Anschließend gab es einen Werksvertrag bei dem Verlag, der damals die Quick und die Jugendzeitschrift Twen verlegte.
Als die Bundeswehr rief, wurde der Wohnort nach Berlin verlegt. Durch den dort damals geltenden „Alliiertenstatus“ sollte die Einberufung umgangen werden. Da der Vater beim Kreiswehrersatzamt jedoch klarstellte, dass der Sohn kein Kriegsdienstverweigerer, sondern lediglich in schlechte Gesellschaft geraten sei, und gleich eine ladungsfähige Anschrift in München mitteilte, galt Günter als fahnenflüchtig. Zint flüchtete vor der Bundeswehr nach Schweden, schlug sich dort als Korrespondent der Twen und als Hotelmitarbeiter durch. Nach einem Berlin-Besuch wurde er jedoch an der Grenze verhaftet. Es folgten einige Nächte in Haft, bis eine ladungsfähige Anschrift in West-Deutschland nachgewiesen werden konnte. Da Günter inzwischen mit Ada verheiratet war, wurde er vom Wehrdienst befreit (die Ehe hielt 16 Jahre, beide sind noch heute sehr gut befreundet).
 
Vom Kriegsdientstverweigerer zur Kiez-Legende
 
Während der Zeit der Kriegsdienstverweigerung hatte Zint in der Zeitschrift Twen eine Geschichte über Jugendliche in Schweden veröffentlicht – im gleichen Heft fand sich die Geschichte eines anderen Kriegsdienstverweigerers: Günter Wallraff, heute investigativer Journalist und Schriftsteller. Wallraff wurde durch Reportagen über verschiedene Großunternehmen wie z.B. die Bild-Zeitung bekannt. Zint „bebilderte“ in den 70er und 80er Jahren viele von Wallraffs Bucherfolgen.
Vom „Armeedienst“ befreit, folgte eine Festanstellung im Bauer-Verlag in Hamburg. Dort arbeitete Zint für das Jugendmagazin O.K. und fotografierte „nebenher“ für Schallplattenfirmen und Konzertveranstalter Musiker – darunter die Beatles, Jimi Hendrix und The Doors. Letztere begleitete er zudem auf deren einziger Europatournee durch diverse Länder. O.K. wurde 1966 mit der BRAVO zusammengelegt. Zint machte sich mit seiner Fotoagentur Panfoto selbständig, bewarb sich beim Spiegel. Für das Hamburger Magazin ging es dann zum Fotografieren in den Sechstagekrieg nach Israel, mit Robert Kennedy in den Wahlkampf in den USA, bzw. u.a. zur APO-Bewegung nach Berlin und Paris.
Zint gründete die St. Pauli Nachrichten, wurde Hausfotograf im legendären Star-Club. Es folgten über 80 Bücher, von denen „Gegen den Atomstaat“ mit 30 Auflagen sowie mehr als einer Million verkaufter Exemplare wohl das erfolgreichste Buch war. Seine Bücher dokumentierten oftmals Anti-Atomkraft-Aktionen oder das Leben im Hamburger Stadtteil St. Pauli. In den 1980er Jahren gründete der Fotograf das St. Pauli Archiv sowie den Verein „Kultur für St. Pauli“. Zum hundertsten Geburtstag von Hans Albers wurde 1991 erstmals das St. Pauli Museum im Hinterhaus des Tivoli von „Beatle“ Paul McCartney eröffnet.
 
Die „freie Republik Behrste“
 
Seit 2005 wurde das Museum vom Trägerverein Sankt Pauli Museum e.V. betrieben. Nach sechs Umzügen landete das Museum kürzlich in der „freien Republik Behrste“. So bezeichnen Zint und seine Mitbewohner:innen das von ihnen bewohnte Areal in der Gemeinde Estorf. Der Wohnort liegt zwar in unmittelbarer Nähe zu Bremervörde, gehört jedoch zum Landkreis Stade. Aus diesem Grund besuchte kurz vor dem Ehrentag z.B. der dortige Landratskandidat Björn Protze die Wohngemeinschaft vom „Geburtagskind“. Dort fand der Politiker innovative Bewohner:innen vor, die gar erfinderisch tätig sind. Ein Mitbewohner hat z.B. einen Rasenmäher konstruiert, der eigenständig „guten Bewuchs“ von Unkraut unterscheiden kann. Beim Besuch stellte Zint das im April von Museums-Leiterin Eva Decker erstellte Konzept der Ausstellung des St. Pauli Museums im „Exil“ im Stader Schwedenspeicher vor. Protze war begeistert und sagte seine Unterstützung zu. Wenn alles gut geht, könnte die Ausstellung im Herbst dieses Jahres in Stade zu sehen sein.
Günter Zint war dreimal verheiratet. Er ist Vater von fünf Kindern. Nach langen Jahren in Hamburg lebte er von 1998 bis 2011 auf einem Hof in Fahrendahl. Seither wohnt er mit fast 10 Erwachsenen, einigen Kindern, Pferden, Schafen, Hühnern und ungezählten Katzen in der „freien Republik Behrste“. Derzeit befindet sich die „Günter-Zint-Stiftung“ in der Gründung. Sie soll das St. Pauli-Museum, die Bestände von Panfoto sowie Zints Lebenswerk übernehmen. Neben der Hamburger Kulturbehörde hat auch Udo Lindenberg seine Unterstützung zugesagt. Der Anzeiger gratuliert herzlich, und wünscht dem reifen Geburtstagskind - das sich je nach Tagesform wesentlich jünger fühlt - viel Erfolg bei zukünftigen Unternehmungen!


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